Donnerstag, 22. Dezember 2011

Oh du gnadenbringende Weihnachtszeit!

Wenn man es nicht besser wüsste, möchte man meinen bereiten sich die Lokals hier auf die Ankunft von hohem Staatsbesuch vor. In gewisser Hinsicht haben wir es ja irgendwie auch mit sehr sehr hohem christlichen Besuch zu tun. Dinge die in den letzten Monaten tausend Diskussionen und Debatten benötigt haben, passieren jetzt wie von Zauberhand. Da wird geputzt, aufgeräumt, geordnet, geschmückt...da stört es selbst nicht, wenn man mitten in einer Patientenreanimation gebeten wird doch mal etwas Platz zu machen, die Fenster müssten jetzt aber ganz dringend währenddessen sauber gemacht werden. Vielleicht sollte man sich überlegen hier jeden Monat Weihnachten zu feiern, dann waeren die Dinge immer so herrlich geordnet und sauber. Dieses Kontrastprogramm ist aber wieder geradezu typisch für Tanzania. Entweder alles oder gar nichts. Dazu gehört leider auch dass sich Krankheiten nicht an Feiertage halten und trotz eigentlicher Fesstagsstimmung Kinder schwer krank sind und auch versterben. Diesbezüglich macht der Tod keine Weihnachtspause hier. Das lässt mich um ehrlich zu sein, die Vorfreude etwas vergessen, viel zu sehr ist man in seinen Stationsalltag verheddert und die Tage waren recht lang die letzten zwei Wochen. Mein kleines buntes Weihnachtsbäumchen auf dem Tisch zu Haus erinnert mich immer wieder an das Weihnachtsfes. Ein wenig surreal wirkt das ganze schon! Im Dorf blinken bei 28 Grad die Weihnachtsbeleuchtungen an den Lehmhütten und kleinen Shops. In den kleinen Kofferradios dudelt White Christmas und Rudolph the Red Nosed Reindeer. Die Weihnachtsdekoration gleicht einem hawaianischen Inselbesuch und in den Öfen backt Bananenbrot. Man plant den 4 stündigen! Kirchgang am Wochenende und all die ganzen Taufen, die zum Weihnachtsfest stattfinden sollen. Ich selbst wurde schon von mehreren Seiten zu Taufen und kleinen Familienzusammenkünften eingeladen. Nein allein ist man hier sicher nicht. Die Wazungus, das sind wir, planen für die Kinderstation etwas Attraktion in Form von Klavier-Gesang-und Spiel und jeeeeddddeee Menge Lollies, Luftballons und Bonbons. Man wird sich am Heiligabend beim gemeinsamen Abendessen treffen und sich vielleicht mit Kleinigkeiten wie Schokolade, Pringles, Mangosaft, Käse, Creme, Tee, Stoffe, Musikkasetten, Kulis ect., alles was die Dorfläden so hergeben, beschenken und sich herzlich darüber amüsieren, etwas Plätchen essen und Weinachtsmusik hören, vielleicht auch selber musizieren. Wenn sich jetzt noch der derzeitige tagtägliche Starkregen in Schnee umwandelt dann haben wir Euch etwas vorraus nämlich eine weisse Weihnacht.

Fallbericht

Montag Morgen Visite auf der ICU ein auffallend schwer atmender Säugling in einem der vielen Betten. "New Admission from yesterday" belehrt mich die Schwester und verschwindet die Akte suchen (das kann in der Regel mal bis zu einer halben Stunde dauern) in der Zwischenzeit schau ich mir das Kleine an. Ein auffallend süsslicher zunächst undefinierbarer Geruch steigt mir in die Nase. Mal davon abgesehen dass einem auf der Lena Ward so manche auffallenden Gerüche begegnen, war der zumindest neu. Der kleine Säugling atmet schwer und anstossend, ist verschwitzt. Auf der Akte die mittlerweile eingetroffen war (das ging beachtlich schnell) steht vom medical officer des Vortages geschrieben 2 Monate alter männnlicher Säugling, difficulties in breathing, pneumonia, rule out Malaria. Das erste Medikament unter den Anordnungen "Quinin" - natürlich. Die Lunge war aber vollkommen frei beim Abhorchen. Das Blutzuckergerät zeigt "HIGH" (nach zweimaliger Kontrolle unverändert) nicht messbar an und bestätigt meine Vermutung einer möglichen Ketoacidose. Diabetesmanifestation und dass bei einem 8 Wochen altem Säugling. Nach i.v. Infusionen keine merkliche messbare Änderung auch keine Allgemeinzustandsbesserung, Entscheidung für Insulin. Das ist der Moment wo ich dann den Perfusor mit meinem schön nett ausgerechneten Insulin-Kochsalzgemisch bestücke, bloss fehlt mir der hier, hab bloss ne Infusionsflasche und ein kleines Rädchen zum Regulieren der Tropfgeschwindigkeit am Infusionsschlauch. Da fällt mir auf der Fensterbank die grosse 50ml Spritze ins Auge und ich erinnere mich dass mir der norwegische Student erzählte er habe einen Perfusor im Lager gesehen. Jetzt geht sie los die grosse Suche nach dem Schluessel für das Lager und den Verantwortlichen dazu. Das Schlauchsystem für die Perfusorspritze oh wunder gab es auch irgendwo im Kramfach der Maternity ward, keiner wusste so recht was damit anzufangen, ich schon. Der Verantwortliche war natürlich nicht da, der Schlüssel unauffindbar. Es ist doch zum Schreien...in der Zwischenzeit hatte ich mit der Diabetesschwester vereinbart es erst einmal mit einem 100ml NaCl- 4IU Actrapid Gemisch parallel mit Kochsalz-Kalium-Gemisch über einen zweiten Zugang (das Kalium musste ich mir auch erst mühsam von der Anästhesie erbetteln um es dann zuzusetzen) auf langsamster "Tropfstufe" und halbstündlicher Kontrollen zu versuchen. Der Verantwortliche der Garage brachte uns unerwartet dann plötzlich einen niegelnagelneuen (noch im Versandmaterial verpackten mit Paketschein versehenen) Perfusor aus Norwegen. In freudiger Erwartung pellte ich ihn aus der Verpackung und konnte mein Glück kaum fassen. Leider mussten wir schnell feststellen, das Glück war nicht von langer Dauer, das der liebe Postbote vergessen hatte das Ladekabel mitzuschicken, und natürlich passte keines der vorhandenen tanzanianischen Modelle. So ist das hier die Dinge sind zwar vorhanden aber entweder kaputt oder unvollständig, da nützt auch kein Hightechgerät. Wir waren gezwungen die Infusionsflaschen-Tropfvariante zu versuchen und siehe da wider Erwarten (und an dieser Stelle sei gesagt die Schwestern waren superbemüht) senkte sich der Blutzucker nach anfänglichem Stocken und weiterer HIGH Bekundungen des BZ Messgerätes langsam in einen messbaren Bereich und von da stündlich pö a pö langsam um ca 1mmol/l, ab 12 mmol setzten wir der seperaten Infusionlösung etwas Dextrose zu, das Kind war in der Zwischenzeit wach und wurde gestillt, ich verabschiedete mich erst mal nach Hause. Ich hatte das Gefühl die Dinge seien unter Kontrolle bis ich drei Stunden später gerufen wurde "Der Blutzucker sei jetzt bei 9 mmol/l aber condition of child has changed" wenn man das hört sollte man laufen. Leider traf es auch diesmal zu, das Kind war in den Herz-Kreislaufstillstand gegangen und alle Reanimationsbemühungen schlugen fehl. So ist das wohl wenn man sich im völligen Blindflug und ohne BGA durch den Elektrolythaushalt bewegt. Leider blieb das nicht die einzige Todesmeldung in dieser Woche. In die Liste reihten sich ein Edwards Syndrom, ein Neugeborenes von 690g, ein Neugeborenes mit SSSS und eine 10 jährige mit akuter Herzinsuffizienz auf dem Boden einer rheumatischen Herzerkrankung. Die Arbeit hier ist oft so ungerecht und mittlerweile trägt man das Laryngoskop genauso selbstverständlich in der Jackentasche wenn man abends gerufen wird, wie manch einer seinen Haustürschlüssel.

Montag, 19. Dezember 2011

10 Dinge an denen man bemerkt dass man schon eine ganze Weile in Haydom lebt

Platz 10 : Während der Nachmittagsstunden ist einem trotz der vorherrschenden 20 Grad kalt und man träg Mütze.

Platz 9 : Man hält Quinin für ein Multivitaminpräperat und verschreibt es jedem sowohl in An- wie Abwesenheit von Fiebersymptomatik.

Platz 8 : Man bringt seinem Auto das Fliegen und das Schwimmen bei.

Platz 7 : Der Schneider ist der beste Freund und mittlerweile hat die Garderobe merkliches Übergewicht and farbenfrohen Designer-Kleidern.

Platz 6 : Der Postbote, das Laborpersonal, und andere mir unbekannte Leute grüssen einen ausserhalb des Krankenhausgeländes mit "Hello Doctor Theresa".

Platz 5 : Mittlerweile schmeckt einem auch der Zimtbelag der "Samstagspizza" .

Platz 4 : Beim Arbeiten bewegt man sich unbemerkt rückwärts auf der Zeitachse.

Platz 3 : Im Garten grasen neben Koriander und Karotten zwei Ziegen, ein Schaf und ein paar Hühner.

Platz 2 : Der Hämatokrit hat sich im Vergleich zur Ankunft verdreifacht.

Platz 1 : Allein auf der Strasse, dreht man sich bei Mzungu Rufen ebenso neugierig um, nach dem vermeintlich Weissen ebenso Ausschau zu halten

Weihnachtsengel




Man sieht sie überall in allen Formen und Ausführungen an Christbäumen hängen oder in Geschäftausläden als Dekoration die Ware verschönern aber heute waren sie ganz ohne Glanz und Glitter und ohne Flügel unterwegs, die Weihnachtsengel. An unserem letzten Adventswochenende beschlossen wir entgegen aller Weihnachtsbräuche ganz touristisch auf Grosswildsafarie in den naheliegenden Tarangiere-Nationalpark zu gehen. Der Regen hatte sich für ein paar Stunden verabschiedet, die Strasssen, oder sollte ich sagen die Sandpisten, waren halbwegs getrocknet und wir enthusiastisch genug unser Glück zu versuchen. Jetzt in der Regenzeit migrieren die meisten der Tiere in die nördlich gelegene Serengeti, und so suchten wir leider vergebens nach den BIG FIVE, bloss Dumbo und seine Familie begegnete uns in reichlicher Zahl, so auch ein paar Giraffen und Antilopen. Die Lodge war für die uns vertrauten Haydomer Verhältnisse unverschämt luxuriös. Wenn man sich so die khakifarben und Fernglasumdenhals-tragenden anderen Lodgebewohner betrachtete, kommt man sich selbst seinen weissen Mzungu Artgenossen so fremd gegenüber vor...das wahre Afrika bleibt ihnen in ihren Lodges und Safari-Autos wohl verborgen, aber völlig unwissend darum, diskutieren sKhie doch sehr intelligent über Landes-und Bevölkerungspolitik und warum die Dinge so sind wie sie sind. Nun statt Khaki trage ich himmelblau, vielleicht haben sich deshalb die Löwen so vor mir erschrocken ... Tarnung war noch nie so recht meine Stärke. Nun wenigstens die Weihnachtsengel hat es nicht gestört. Wir machten uns am frühen Morgen auf den Rückweg. Auf den Rat eines guten Freundes hin, entschied ich mich für die Abkürzung über Mbulu. Es hiess im Vorfeld, es gäbe "nur" einen kleinen Flus zu überqueren, den das Auto wohl ohne Probleme händeln könnte, wenn ich nur beherzt im Vierradantrieb mit genügend Geschwindigkeit vorantreibe. Das schaff ich wohl, frohen Mutes ging die Fahrt auch erstmal noch vielversprechend ueber geteerten Untergrund, dann die erste Abzweigung nach links auf den Feldweg und auch schon bald erinnerten uns die seitlich des Weges überfluteten Wiesen an die bestehende Regenzeit. Das Auto kämpfte sich tapfer durch Pfützen und über Steine. An einer überfluteten Bruecke dann der erste skeptische Halt. Meine Beifahrerin watete in hochgekrempelten Hosen ins Wasser um vorab die Tiefe auszumessen...sehr löblich...ich dann mutig im Auto hinterher. Kein Problem, der Motor heulte kurz auf aber ich erreichte schnell die andere Seite...das war wohl der besagte Fluss...ach hamnashida, das war einfach...lachend setzten wir unsere Reise fort...tja bloss dann wurde uns klar dass die Dinge in Afrika grundsätzlich groesser sind als man erwartet und so standen wir plötzlich vor dem "tanzanianischen Nil" wie ich ihn bezeichnete...kleiner Fluss...? Ich riss die Augen auf hinter meinem Steuer...keine zehn Pferde bringen mich darein mit dem Auto...Pferde nicht aber vielleicht ein Traktor und ne Seilwinde grinste einer der Dorfbewohner mir entgegen. Wir einigten uns statt des Traktors auf einen vertrauenserweckenden (ich weiss bis jetzt nicht woran ich diese Eigenschaft gemessen hatte) jungen Mann der uns beide auf den Beifahrersitz schob selber den Zündschluessel in die Hand nahm und mit kurzem "Anlauf" und im Vierradantrieb unter meinen begleitenden Stossgebeten mitten in das fliessende 30m breite Gewässer hineinfuhr...und...auch wieder heraus. Ninafuraha!! Applaus vom Uferrand ... und vom Beifahrersitz. Immer wenn man glaubt es geschafft zu haben, ueberrascht einen das Leben mit neuen Herausforderungen, das mussten wir beide dann auch feststellen als sich vor uns ein unerwartet steiles und hohes Bergmassiv emporhob. Im ersten Gang und mehr über Felsbrocken als Wegesuntergrund kletterten wir mit dem Auto in die Höhe und um die Serpentinen herum...stetig darauf bedacht zum einen nicht mit den Rädern in irgendeiner Felsspalte hängenzubleibe...das liess uns dann auch wenig Gelegenheit uns an der Herrlichkeit des Ausblickes zu erfreuen...viel mehr erfreute uns jede weitere Kurve die wir gemeistert hatten. Vielmehr konnte ich meine Kamera auf einem besonders holperigen Abschnitt gerade davor bewahren ihrem Tod entgegenzustürzen...ich sah sie plötzlich (sie lag eigentlich die ganze Zeit neben mir auf dem Sitz) schwuppsdiwupps aus dem geöffneten Autofenster dem Tal entgegenfliegen, instinktiv streckte ich (die andere Hand noch am Steuer) die Hand aus dem Fenster und bekam gerade noch das Band der Kameratasche zu fassen um sie zurück ins Auto zu katapultieren...gerettet. Nun auch den Bergpass meistererten das Auto und wir ... wer konnte ahnen dass uns gerade dann auf einer geraden ebenenerdigen Strecke das Fahrerglück verliess. Auf dem schlammigen Untergrund kam das Auto plötzlich ins Schlingern und nachdem mir das Heck ausgebrochen war und ich verzweifelt versuchte gegenzulenken rutschten wir wie auf einer Eisfläche ohne Halt seitlich auf eine Brücke zu. Dann ging alles sehr schnell das Auto geriet auf eine Art Schlammrampe, verlor den Bodenkontakt, wir vollführten eine halbe Drehung und landeten...peng...seitlich im Flussgraben. Der Aufprall war recht hart, umso erstaunlicher dass Mareike und ich aus dem noch weit geöffneten Seitfenster nach oben aus der Fluss-Spalte und dem Auto, dessen Motor noch munter weiter tuckerte, herausklettern konnten. Nix passiert, alles noch dran, stellten wir fest. Schnell eilten aus der näheren Umgebung Dorfbewohner zu Hilfe...eine uns entgegenlaufende Frau, laut betend und die Hände zum Himmel gerichtet, wohl dem Herrn unserer Unversehrtheit dankend. Schnell war dank VodacomMobil Hilfe aus Haydom geordert und wir wurden abeholt. Die Nachricht unseres Unfalls hatte sich sogar noch vor meinem eigenen Anruf bis in die Werkstatt rumgesprochen, so dass sich die Hilfe bereits auf den Weg gemacht hatte, als ich noch mit Martin und Eva telefonierte. Das Auto liess ich im Graben zurück. Einen starken Kaffe-mit Amarula Schuss später, ist Eva mit Leuten der Werkstatt und unter Zuhilfenahme eines grossen Schleppers dann noch mal an den Unglücksort und dort wurde mit vereinten männlichen und maschinellen Kräften mein armer vierrädriger Freund aus seiner misslichen Lage befreit. Aber er ist ein Stehaufmännchen und anschliessend mit Eva selber noch brav die letzten Kilometer nach Haydom heimgetuckert. Ich bin unheimlich dankbar dass uns nicht mehr passiert ist ausser meiner vielleicht etwas angeschwollenen Lippe. "Dafür zahlen Leute in Europa viel Geld" witzelte Eva. Die tanzanianische Art der Schönheitschirurgie und Lippenkosmetik. Dafür braucht es also nur ein Auto, die Regenzeit und ein paar Weihnachtsengel.