Donnerstag, 22. Dezember 2011

Fallbericht

Montag Morgen Visite auf der ICU ein auffallend schwer atmender Säugling in einem der vielen Betten. "New Admission from yesterday" belehrt mich die Schwester und verschwindet die Akte suchen (das kann in der Regel mal bis zu einer halben Stunde dauern) in der Zwischenzeit schau ich mir das Kleine an. Ein auffallend süsslicher zunächst undefinierbarer Geruch steigt mir in die Nase. Mal davon abgesehen dass einem auf der Lena Ward so manche auffallenden Gerüche begegnen, war der zumindest neu. Der kleine Säugling atmet schwer und anstossend, ist verschwitzt. Auf der Akte die mittlerweile eingetroffen war (das ging beachtlich schnell) steht vom medical officer des Vortages geschrieben 2 Monate alter männnlicher Säugling, difficulties in breathing, pneumonia, rule out Malaria. Das erste Medikament unter den Anordnungen "Quinin" - natürlich. Die Lunge war aber vollkommen frei beim Abhorchen. Das Blutzuckergerät zeigt "HIGH" (nach zweimaliger Kontrolle unverändert) nicht messbar an und bestätigt meine Vermutung einer möglichen Ketoacidose. Diabetesmanifestation und dass bei einem 8 Wochen altem Säugling. Nach i.v. Infusionen keine merkliche messbare Änderung auch keine Allgemeinzustandsbesserung, Entscheidung für Insulin. Das ist der Moment wo ich dann den Perfusor mit meinem schön nett ausgerechneten Insulin-Kochsalzgemisch bestücke, bloss fehlt mir der hier, hab bloss ne Infusionsflasche und ein kleines Rädchen zum Regulieren der Tropfgeschwindigkeit am Infusionsschlauch. Da fällt mir auf der Fensterbank die grosse 50ml Spritze ins Auge und ich erinnere mich dass mir der norwegische Student erzählte er habe einen Perfusor im Lager gesehen. Jetzt geht sie los die grosse Suche nach dem Schluessel für das Lager und den Verantwortlichen dazu. Das Schlauchsystem für die Perfusorspritze oh wunder gab es auch irgendwo im Kramfach der Maternity ward, keiner wusste so recht was damit anzufangen, ich schon. Der Verantwortliche war natürlich nicht da, der Schlüssel unauffindbar. Es ist doch zum Schreien...in der Zwischenzeit hatte ich mit der Diabetesschwester vereinbart es erst einmal mit einem 100ml NaCl- 4IU Actrapid Gemisch parallel mit Kochsalz-Kalium-Gemisch über einen zweiten Zugang (das Kalium musste ich mir auch erst mühsam von der Anästhesie erbetteln um es dann zuzusetzen) auf langsamster "Tropfstufe" und halbstündlicher Kontrollen zu versuchen. Der Verantwortliche der Garage brachte uns unerwartet dann plötzlich einen niegelnagelneuen (noch im Versandmaterial verpackten mit Paketschein versehenen) Perfusor aus Norwegen. In freudiger Erwartung pellte ich ihn aus der Verpackung und konnte mein Glück kaum fassen. Leider mussten wir schnell feststellen, das Glück war nicht von langer Dauer, das der liebe Postbote vergessen hatte das Ladekabel mitzuschicken, und natürlich passte keines der vorhandenen tanzanianischen Modelle. So ist das hier die Dinge sind zwar vorhanden aber entweder kaputt oder unvollständig, da nützt auch kein Hightechgerät. Wir waren gezwungen die Infusionsflaschen-Tropfvariante zu versuchen und siehe da wider Erwarten (und an dieser Stelle sei gesagt die Schwestern waren superbemüht) senkte sich der Blutzucker nach anfänglichem Stocken und weiterer HIGH Bekundungen des BZ Messgerätes langsam in einen messbaren Bereich und von da stündlich pö a pö langsam um ca 1mmol/l, ab 12 mmol setzten wir der seperaten Infusionlösung etwas Dextrose zu, das Kind war in der Zwischenzeit wach und wurde gestillt, ich verabschiedete mich erst mal nach Hause. Ich hatte das Gefühl die Dinge seien unter Kontrolle bis ich drei Stunden später gerufen wurde "Der Blutzucker sei jetzt bei 9 mmol/l aber condition of child has changed" wenn man das hört sollte man laufen. Leider traf es auch diesmal zu, das Kind war in den Herz-Kreislaufstillstand gegangen und alle Reanimationsbemühungen schlugen fehl. So ist das wohl wenn man sich im völligen Blindflug und ohne BGA durch den Elektrolythaushalt bewegt. Leider blieb das nicht die einzige Todesmeldung in dieser Woche. In die Liste reihten sich ein Edwards Syndrom, ein Neugeborenes von 690g, ein Neugeborenes mit SSSS und eine 10 jährige mit akuter Herzinsuffizienz auf dem Boden einer rheumatischen Herzerkrankung. Die Arbeit hier ist oft so ungerecht und mittlerweile trägt man das Laryngoskop genauso selbstverständlich in der Jackentasche wenn man abends gerufen wird, wie manch einer seinen Haustürschlüssel.

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